Barrierefreie Gestaltung
Rue intérieure: Eine Verbindung zwischen den vertikalen Treppenhäusern der Kalkbreite © Martin Stollenwerk

Problem

Die gebaute Umwelt sollte für jeden Menschen uneingeschränkt zugänglich und nutzbar sein. Schon 2006 wurden in der UN Behindertenrechtskonvention gleiche Chancen, Teilhabe und Zugangsmöglichkeiten für alle Menschen festgeschrieben. Die Barrierefreiheit in allen Bereichen der baulichen Anlagen, Verkehrsmittel und Informationssystemen – der gebauten Umwelt – ist defizitär: So waren 2018 nur circa 2% der Wohnungen und Einfamilienhäuser in Deutschland vollständig barrierefrei gestaltet (Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Tab. 6). Zudem führt der demografische Wandel zu einem zunehmenden Bedarf an barrierefreier Umwelt. Wie sieht eine inklusive Architektur aus, die eine selbstständige und einfache Gebäudenutzung für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen gewährleistet und ein Bewusstsein für ihre Bedürfnisse schafft? Wie lassen sich Barrierefreiheit und inklusive Architektur gestalterisch umsetzen und wie kann die gebaute Umwelt angepasst werden?

Allgemeine Beschreibung

Barrierefrei zu planen bedeutet, das Altern mitzudenken und somit von vornherein barrierefrei, inklusiv und adaptierbar zu bauen. In der Planungsphase liegt primär das Potenzial, Barrierefreiheit und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung im weiteren Verlauf umzusetzen (DGNB 2018, S. 414). Flexibilität in Form von flexiblen Grundrissen und adaptierbarer Architektur, beispielsweise als Skelettkonstruktion, erleichtern spätere Umbauten sowie Umnutzungen und vermeiden die Notwendigkeit eines Umzugs bei einer später auftretenden Behinderung oder Einschränkung.  

Zur barrierefreien und inklusiven Gestaltung zählen folgende Prinzipien und Anforderungen: Die stufenlose Erreichbarkeit, eine visuell und taktil kontrastreiche Gestaltung sowie die Einhaltung des Zwei-Sinne-Prinzips (mindestens zwei der drei Sinne Sehen, Hören und Tasten sollten angesprochen werden). Es sind Anforderungen an Räumlichkeiten, Infrastrukturen, den Zugang zum Außenraum, die bauliche Gestaltung sowie Strukturen des öffentlichen Raums zu berücksichtigen. Essenziell für die stufenlose Erschließung sind Aufzüge, Rampen mit einer maximalen Steigung von 6%  (BBSR 2016, S. 251 ff.) und schwellenlose Übergänge zum Außenbereich, zu Gewerberäumen, Wohnungen, Gemeinschaftsbereichen, Treppenhäusern, Bädern, Toiletten, Balkonen, Terrassen und Gärten. Zu einer rollstuhlgerechten Gestaltung zählen weiterhin Türen mit einer Mindestbreite von 0,9 m, Flure mit einer Breite von mindestens 1,5 m und speziell ausgestattete Küchen, Bäder und Toiletten. Auch Parkplätze für beeinträchtigte Autofahrer:innen sind vorzusehen. Ruheräume, automatische Türen, Freisprechsensorik, Akustische- und Sicherheitssysteme und beleuchtungssteuernde Zeitschaltuhren können die barrierefreie Gestaltung ergänzen. Auch die Verwendung von Farben mit hohen Kontrasten und Leitsysteme erleichtern die Orientierung für Blinde oder Menschen mit eingeschränkter Sehkraft. Die Interaktion der Nutzer:innen mit ihrer gebauten Umwelt wird durch die Auswahl der Systeme und Materialien beeinflusst. Des Weiteren können taktile Oberflächen Informationen vermitteln und Orientierung bieten. Rutschfeste Oberflächen unterstützen das Gehen mit einem Stock und das Handling des Rollstuhls. Entscheidend bei der Gestaltung für Menschen mit eingeschränkter Mobilität sind auch Handläufe an Wänden und in Bereichen wie Bädern und Treppenhäusern (AD Editorial Team 2019).

Beispiele

In der Kalkbreite Zürich sind größtenteils barrierefrei zugängliche Gewerberäume, gemeinschaftliche Innen- und Außenräume, Gärten, Wohnungen, Treppenhäuser und Aufzüge vorzufinden. Auch die Wohnungen selbst sind entweder an Bedürfnisse anpassbar oder bereits den Raumbedürfnissen von Rollstuhlfahrenden nach gestaltet – (Genossenschaft Kalkbreite o.J.). Des Weiteren gibt es auf dem Gelände Parkplätze für Autofahrende mit Beeinträchtigungen. Auch Möglichkeiten der Partizipation und Ausgestaltung für Kinder wurden in der Kalkbreite umgesetzt.

Im Quartier WIR Berlin kam eine barrierearme Bauweise zur Anwendung; eine vollständige Barrierefreiheit im Quartier konnte nicht umgesetzt werden. Das Quartier für ein generationsübergreifendes Leben kann in allen Gebäuden und Geschossen mit rollstuhlgerechten Aufzügen erschlossen werden. Es wurden schwellenlose Übergänge im Außen- und Innenbereich und bodengleiche Duschen in den Wohnungen integriert. Außerdem sind die Gemeinschaftsbereiche und ein Drittel der Wohnungen barrierefrei. Auch das Nutzungskonzept ist inklusiv und richtet sich nach sozialen Belangen. 

Das c13 Berlin ist in seinem öffentlichen Bereich rundum barrierefrei. Neben den Treppen und einem Aufzug ist eine Rampe mit einer Steigung von maximal 6 %vorhanden, um in das Erdgeschoss zu gelangen. Die Flure haben eine Mindestbreite von 1,5 m; die Eingangstüren von mindestens 0,9 m.

Treppenhaus und Aufzug bei c13 © Bernd Borchardt

Erkenntnisse und Synergien

Inklusive Architektur und barrierefreies Planen können einen Beitrag dazu leisten, das Leben von Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen entsprechend ihrer Bedürfnisse zu erleichtern, um wie in Artikel 9 der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben: “[…] eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen[…]” (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen 2017, S. 13). Somit können sie nachhaltig sozial wirken. Dies erfordert, konsequent Barrieren in der Planung zu vermeiden, langfristig zu denken sowie bestehende bauliche Barrieren abzuschaffen oder umzuwandeln. Der höhere Flächenbedarf und die Erschließungssysteme bedürfen eines Investments, schaffen jedoch einen großen nachhaltigen Mehrwert. Bedeutend ist die partizipative Planung und inklusive Nutzung durch von Behinderung betroffenen Menschen, Kindern und Älteren auf dem Weg zu inklusiver(er) Architektur (Herwig 2008, S. 162).

Quellen

AD Editorial Team (2019): Trends Report: Inclusive Design. Abgerufen am 28.04.2021 von https://www.archdaily.com/915588/trends-report-march-2019-inclusive-design

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumfor-schung (BBSR) (Hrsg.) (2016): Zukunft Bauen: Forschung für die Praxis|Band 01: ready – vorbereitet für altengerechtes Wohnen: Neue Standards und Maßnahmensets für die stufenweise, altengerechte Wohnungsanpassung im Neubau. BBSR: Bonn. Abgerufen am 28.04.2021 von https://www.readyhome.de/

Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (2017): Die UN-Behindertenrechtskonvention: Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Berlin. 

Bundesarchitektenkammer (BAK) (o.J..): Inklusiv gestalten – Barrierefrei Bauen. Abgerufen am 28.04.2021 von https://www.bak.de/berufspolitik/inklusiv-gestalten-barrierefrei-bauen-2/

Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) (Hrsg.) (2018): DGNB System: Kriterienkatalog Gebäude Neubau. 3. Auflage, Stuttgart: DGNB GmbH. 

Ed Roberts Campus (2021): Design. Abgerufen am 28.04.2021 von https://www.edrobertscampus.org/design/

Genossenschaft Kalkbreite (o.J.): Bestimmungen zur Wohnungsvermietung. Abgerufen am 28.04.2021 von https://www.kalkbreite.net/kalkbreite/mieten/kriterien-vermietung/

Gunßer, C. (2019): Inklusiv bauen. Abgerufen am 28.04.2021 von https://www.dabonline.de/2019/03/30/inklusiv-bauen-barrierefreiheit-wohnen/#a71618

Herwig, O. (2008): Universal Design. Berlin, Boston: Birkhäuser.

Skiba, I. & Züger, R. (2016): Basics Barrierefrei Planen. Basel/Berlin/Boston: Walter de Gruyter GmbH. 

Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hrsg.) (2019): Wohnen in Deutschland: Zusatzprogramm des Mikrozensus 2018. Abgerufen am 22.06.2021 von https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Wohnen/Publikationen/Downloads-Wohnen/wohnen-in-deutschland-5122125189005.html  

Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020): Statistik der schwerbehinderten Menschen: Kurzbericht 2019. Statistisches Bundesamt (Destatis). 

WEKA MEDIA GmbH & Co. KG (2019): Gemeinschaft in Holz. Abgerufen am 22.06.2021 von https://utb-berlin.de/wp-content/uploads/2016/12/utb_mikado-magazin_2019_gemeinschaft-in-holz.pdfZimmerli, J. & Mueller Schmid, N. (2016): Giesserei, das Mehr‐Generationen‐Haus. Winterthur: Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen.