Theorie

1. Mustersprache

Was ist eine “Mustersprache”?

Die Mustersprache ist ein Konzept, das ursprünglich auf den Mathematiker und Architekten Christopher Alexander zurückgeht. In seinem 1977 zusammen mit Sara Ishikawa und Murray Silverstein veröffentlichten Buch “A Pattern Language. Towns, Buildings, Construction” sind 253 verschiedene Pattern beschrieben, die räumliche, bauliche, soziale, kulturelle oder technische Strukturen darstellen und nach den drei Skalierungsebenen Stadt, Gebäude und Konstruktion geordnet sind (Alexander et al. 1977). Die Mustertheorie stellt eine Methode zur Lösung von Problemen bereit, indem wiederverwendbare Problemlösungen zur Nutzung aufbereitet werden (Leitner 2016, S. 16). Die Muster bieten Ansätze zur Lösung von typischen, wiederkehrenden Entwurfsproblemen. Gestalter, Entwickler und Entwurfsverfasser nutzen sie als Anregung und als Lösungsmodell, sowie um bereits gefundene Lösungen infrage zu stellen, weiterzuentwickeln und zu verfeinern. Die Mustersprache erleichtert die Kommunikation zwischen Entwicklern, indem sie ein einheitliches Vokabular aus Bezeichnungen für wiederkehrende Probleme und deren Lösungen bereitstellt.

Die Mustersprache ist ein Regelwerk und auch wie eine Check-Liste beim Entwerfen verwendbar. Die Muster sind nur die Ergebnisse der vorangehenden Argumente und Gedankengänge. Jedes Muster besteht aus einer Problemstellung, einer Erörterung des Problems mit einer Illustration und aus der Lösung. Das Verständnis dieser Gedankengänge ermöglicht es auch, für den konkreten Fall weitere – oder andere – Schlussfolgerungen zu ziehen. Auf rationalen Wegen spürt Alexander jenen Qualitäten der gebauten Umwelt nach, die vielfach als irrational angesehen werden. So wie in einer natürlichen Sprache Wörter als einzelne, Bedeutung stiftende Elemente durch das Regelwerk einer Grammatik miteinander verknüpft werden, um komplexe Sinnverhalte zu vermitteln, so werden in einer Mustersprache einzelne Muster (Pattern) miteinander durch ein Verweissystem auf jeweils andere Muster zu einem höher aggregierten Systemzusammenhang vernetzt.

Anhand dieser Querverweise ist es möglich, die Planung in einer Form durchzuführen, die Alexander unfolding (‚Entfalten‘) nennt. Dabei behandeln die Muster der höchsten Ebene – also diejenigen, die bei der Planung zuerst betrachtet werden sollen – die Planung von Städten. Weiter unten in der Hierarchie stehende Muster behandeln räumlich kleinere Strukturen, bis hin zu Teilen von einzelnen Räumen oder Konstruktionselementen, deren  Verbindung miteinander ein komplexes Netzwerk bilden. Alexander legt Wert darauf, dass die Querverweise ebenso wichtig sind wie die Muster selbst.

Wie werden die Muster beschrieben?

In der Einleitung seines Buches gibt Alexander eine genaue Beschreibung, wie die Muster aufgebaut sind:

“Die Elemente dieser Sprache sind Entitäten, die Muster genannt werden. Jedes Muster beschreibt ein Problem, das in unserer Umgebung immer wieder auftritt, und beschreibt dann den Kern der Lösung für dieses Problem, und zwar so, dass Sie diese Lösung millionenfach verwenden können, ohne es jemals zweimal auf die gleiche Weise zu tun. Der Einfachheit und Klarheit halber hat jedes Muster das gleiche Format. Zuerst gibt es ein Bild, das ein archetypisches Beispiel für dieses Muster zeigt. Zweitens, nach dem Bild, hat jedes Muster einen einleitenden Absatz, der den Kontext für das Muster festlegt, indem er erklärt, wie es hilft, bestimmte größere Muster zu vervollständigen (…). Nach der Überschrift folgt der Hauptteil des Problems. Dies ist der längste Abschnitt. Er beschreibt den empirischen Hintergrund des Musters, die Beweise für seine Gültigkeit, die verschiedenen Möglichkeiten, wie sich das Muster in einem Gebäude manifestieren kann, und so weiter. Dann folgt (…) die Lösung – das Herzstück des Musters -, die das Feld der physischen und sozialen Beziehungen beschreibt, die erforderlich sind, um das angegebene Problem in dem angegebenen Kontext zu lösen. Diese Lösung wird immer in Form einer Anweisung angegeben – so dass Sie genau wissen, was Sie tun müssen, um das Muster aufzubauen. Nach der Lösung folgt ein Diagramm, das die Lösung in Form eines Diagramms zeigt, mit Beschriftungen, die die Hauptkomponenten angeben (…)“ (Alexander et al. 1977, S. X f.).

Aus welcher Absicht heraus, wurde die Mustersprache entwickelt?

Alexander sagt dazu: „Architekten selbst bauen einen sehr, sehr kleinen Teil der Welt. Der größte Teil der physischen Welt wird von allen Arten von Menschen aufgebaut. Es wird von Entwicklern gebaut, es wird von Heimwerkern in Lateinamerika gebaut. Es wird von Hotelketten, von Eisenbahnunternehmen usw. usw. gebaut. Wie könnte man möglicherweise all die massiven Bauarbeiten, die auf der Erde stattfinden, in den Griff bekommen und irgendwie? 

Mach es gut, das heißt, lass es auf gute und lebendige Weise erzeugt werden. Diese Entscheidung für einen genetischen Ansatz war nicht nur auf das Skalenproblem zurückzuführen. Es war von Anfang an wichtig, denn eines der Merkmale jeder guten Umgebung ist, dass jeder Teil davon extrem stark an seine Besonderheiten angepasst ist. Diese lokale Anpassung kann nur dann erfolgreich erfolgen, wenn Personen (die sich vor Ort auskennen) dies für sich selbst tun. In der traditionellen Gesellschaft, in der Laien entweder ihre eigenen Häuser, ihre eigenen Straßen usw. bauten oder auslegten, war die Anpassung natürlich. Es geschah erfolgreich, weil es in den Händen der Menschen lag, die die Gebäude und Straßen direkt benutzten.“ (Alexander 1996).

Allgemeine Anwendungen der Mustersprachen-Methodik

“Wissenschaftlich und erkenntnistheoretisch sind Mustersprachen Werkzeuge zur Strukturierung komplexen Wissens über mehrere Phasen eines Entwurfsprozesses. Sie dienen damit einer situierten Wissensproduktion. Sie halten Ableitungen von empirischen Beobachtungen einzelner gelungener Lösungen fest und verallgemeinern diese als Entwurfsempfehlung. Gleichzeitig sind sie ein Entwurfswerkzeug und helfen den Architekt*innen, Gestalter*innen oder Konzeptentwickler*innen beim Planen neuer individueller Lösungen. Der Entwurfsprozess als kreative Arbeit besteht dann in der Verbindung von Mustern zu Mustersequenzen, die in ihrer Kombinatorik gute Lösungen ermöglichen. Eine Mustersprache ist damit sowohl ein Erkenntnisinstrument als auch ein Werkzeug, das Gestalter*innen hilft, innerhalb von komplexen Aufgaben strukturelle Entscheidungen zu treffen, die spezifisch-konkrete Bedürfnisse ebenso berücksichtigen wie vorhandenes Erfahrungswissen” (Hamann et al. 2018, S. 8). Während das formalisierte Konzept einer Mustersprache im architektonischen oder städtebaulichen Entwurfs-kontext eher verhalten rezipiert wurde, findet das Konzept in vielen komplexen Engineering-Aufgaben Anwendung. Besonders einflussreich war und ist es in der Softwareentwicklung.

Quellen

Alexander et al. (1977): A Pattern Language. Autor:innen: Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein mit Max Jacobson, Ingrid Fiksfahl-King, Shlomo Angel. Oxford University Press, New York. Deutsche Ausgabe: Alexander et al. (1995): Eine Muster-Sprache. Städte, Gebäude, Konstruktion. Löcker, Wien, https://www.einemustersprache.de/

Alexander, Christopher (1996): Keynote Speech to the 1996 OOPSLA Convention.
https://www.patternlanguage.com/archive/ieee.html
https://www.youtube.com/watch?v=98LdFA-_zfA

Hamann et al. (2018): Mustersprache Stadtgestalten. Baugemeinschaften als Impulsgeber für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Endbericht. Institut für Partizipatives Gestalten (IPG), Oldenburg, Autor:innen: Mio Sibylle Hamann,  Sonja Hörster und Jascha Rohr
http://stadtgestalten.net/wp-content/uploads/2019/07/Baugemeinschaften_Impulsgeber_Stadtentwicklung.pdf

Leitner, Helmut (2016): Mustertheorie. Einführung und Perspektiven auf den Spuren von Christopher Alexander. Eigenverlag, Erstveröffentlichung 2007 bei Nausner & Nausner Verlag, Graz

2. Soziale Ökologie

Im Forschungsprojekt CMI.BA knüpfen wir an den Diskurs der Sozialen Ökologie an, wie er in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahren vor allem durch das Frankfurter Institut für Sozial-ökologische Forschung (ISOE) geprägt wurde. Soziale Ökologie wird demnach als eine prozessorientierte, inter- undtransdisziplinäreWissenschaft der gesellschaftlichen Naturverhältnisse verstanden, die sich stetig weiterentwickelt und an der Transformation in Richtung Nachhaltigkeit orientiert (Gottschlich 2017, S.  5-6). Die Gründer des ISOE, Egon Becker und Thomas Jahn, definieren soziale Ökologie als „die Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Sie untersucht theoretisch und empirisch deren Formen, Veränderungen und Gestaltungsmöglichkeiten in der gesellschaftlichen Praxis in einer integrativen Perspektive“ (Becker & Jahn 2006, S. 87). Gesellschaftliche Naturverhältnisse bezeichnet hierbei „symbolisch vermittelte stofflich-energetische und organische Regulationsmuster“ (Becker & Jahn 2006, S. 193). Im Rückgriff auf den Zoologen Jakob von Uexküll wird Umwelt als eine relationale und nicht als eine objektive Kategorie gesehen, da ein identisches Umweltsetting aus der jeweiligen artspezifischen oder individuellen Perspektive höchst unterschiedliche Wahrnehmungen und Auswirkungen erzeugt (Becker & Jahn 2006, S. 143). Insofern ist Umwelt auch eine sozial konstruierte Realität und Umweltprobleme lassen sich nicht allein durch eine natur- oder ingenieurwissenschaftliche Perspektive lösen. Die Intention der Sozialen Ökologie ist daher, die miteinander konkurrierenden natur- und sozialwissenschaftlichen Forschungsmethodologien zu einer ganzheitlichen Perspektive zu integrieren.

Der englische Begriff “Social Ecology” wurde in den 1920er Jahren von Milla A. Alihan mit der Intention geprägt, einen analytischen und integrativ gedachten Rahmen über die Beziehung zwischen den Menschen und ihrer Umwelt als den Bereich der Humanökologie zu schaffen (Hummel et al. 2017, S. 2). Der Begriff ist stark mit der stadtsoziologischen Forschung an der Chicago School und dem von Robert Park, Ernest, Burgess und Roderick McKenzie 1925 herausgegeben Buch „The City“ verbunden. Weitere Einflüsse stammen aus der biologisch fundierten Systemökologie, der Kultur- und Stadtökologie sowie der Industrial Ecology. Letztere wiederum steht in Verbindung zum Konzept des Gesellschaftlichen Stoffwechsels

Die Soziale Ökologie versteht sich als eine kritische Wissenschaft mit enger Beziehung zur institutionellen Politik und sozialen Bewegungen. Als angewandte Grundlagenforschung ist sie einem neuen Forschungstypus zuzuordnen, der im wissenschaftstheoretischen Diskurs auch als „Modus-2-Wissenschaft“ bezeichnet wird.

Sie begreift Umweltprobleme als gesellschaftliche Probleme (Becker 2016, S. 392) und betrachtet die wechselseitige Konstitution von Natur und Gesellschaft im Rahmen eines integrativen Konzepts. Dabei wird in der sozial-ökologischen Forschung untersucht, wie sich diese Beziehungen in Hinblick auf die sich stetig im Wandel befindenden hybriden Krisenkonstellationen identifizieren, erforschen, denken und gestalten lassen (Gottschlich 2017, S. 7). Sozial-ökologische Forschung erfolgt problemorientiert, auf konkrete Handlungsfelder bezogen und in Form einer partizipativen, Wissen aus der Praxis integrierenden Forschung. Daher agiert sie transdisziplinär in vielfältigen organisatorischen Formen mit gesellschaftlichen Akteur:innen und Wissenschaftler:innen und ist auf konkrete gesellschaftliche außerakademische Probleme gerichtet. Da sich in gesellschaftlichen Naturverhältnissen ökologische und sozioökonomische Ursachen und Wirkungen gegenseitig beeinflussen und miteinander verwoben sind, müssen für die Gestaltung der Beziehungen zwischen Gesellschaft und Natur neben politischen und wissenschaftlichen auch ökonomische Innovationen vorangetrieben werden. Ökonomie wird hier aber weniger vom Markt, der Produktion und dem Wachstum, sondern vom Alltag und den Bedürfnissen her gedacht (Gottschlich 2017, S. 7, Becker & Jahn 2006, S. 16).

CMI.BA entwickelt ein sozial-ökologisches Gesamtkonzepts für das Projekt in Bratislava, dass die ökologischen und sozialen Dimension des Bauens gleichermaßen in den Blick nimmt, um zu integrierten Lösungen zu gelangen. Dabei stehen stets die Synergien im Fokus: es wird davon ausgegangen, dass die Integration von Gemeinschaft und Technologie, Effizienz und Suffizienz zu bedeutenderen Innovationen führen kann als die Erforschung dieser Dimensionen unabhängig voneinander (vgl. Becker 2016, S. 398). Es gilt, ein neues Narrativ zu entwickeln.

Quellen

Becker, Egon; Jahn, Thomas (Hg.) (2006): Soziale Ökologie. Grundzüge einer Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Frankfurt a. M. / New York: Campus Verlag.

Becker, Egon (2016): Keine Gesellschaft ohne Natur. Beiträge zur Entwicklung einer Sozialen Ökologie. Frankfurt a. M.: Campus Verlag. 

Gottschlich, D. (2017): Soziale Ökologie. Charakteristika, Besonderheiten, kritisch-emanzipatorische Erweiterungspotenziale. In Nr. 29. S. 4-13. fiph – Forschungsinstitut für Philosophie Hannover. Schwerpunktthema Kulturökologie

Hummel, Diana, Thomas Jahn, Florian Keil, Stefan Liehr, and Immanuel Stieß (2017): Social Ecology as Critical, Transdisciplinary Science—Conceptualizing, Analyzing and Shaping Societal Relations to Nature. In Sustainability 9, no. 7: 1050. https://doi.org/10.3390/su9071050

Liehr, S., Becker, E. & Keil, F. (2006): Systemdynamiken. In: Becker, E. & Jahn, T. (Hrsg.): Soziale Ökologie. Grundzüge einer Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen, Frankfurt a. M./ New York, S. 267-283.

3. CoHousing

Teil des sozial-ökologischen Bauens ist das wie folgt durch id22 beschriebene Cohousing: Cohousing ist ein Begriff, der oft mit anderen alternativen Wohnformen wie gemeinschaftlichem und kollektivem Wohnen, Wohngemeinschaften und Ökodörfern verwoben ist (LaFond et al. 2017). Solche Wohnformen werden zunehmend als Möglichkeit gesehen, eine Reihe von Herausforderungen für Gemeinschaft, Demokratie und Gerechtigkeit anzugehen, die durch investorengetriebene, spekulative und individualisierte Bauträger noch verschärft werden. Wie Hagbert & Bradley (2017) schreiben, sind CoHousing-Projekte eine Möglichkeit, sich selbst zu organisieren, um ökologisch, sozial und ökonomisch widerstandsfähigere Gemeinschaften aufzubauen, und schlagen eine Form des Zusammenlebens vor, die die gemeinsame Nutzung von Räumen und Ressourcen über das Privateigentum hinaus fördert. Für die gemeinsame Nutzung gibt es soziale, wirtschaftliche und ökologische Gründe, die eine organische Entwicklung der Gemeinschaft sowie ihre Anpassungsfähigkeit und Flexibilität fördern können.

Quellen

Hagbert, Pernilla;  Bradley, Karin (2017): Transitions on the home front: A story of sustainable living beyond ecoefficiency. In: Energy Research & Social Science (2017), http://dx.doi.org/10.1016/j.erss.2017.05.002

LaFond, M. et al. (2017). COHousing Inclusive – Selbstorganisiertes, gemeinschaftliches Wohnen für Alle. 1. Aufl. Autoren: Michael LaFond, id22: Institut für kreative Nachhaltigkeit, Larisa Tsvetkova (Hg.). Berlin: Jovis Verlag.

4. 2000-Watt-Gesellschaft

Die Nutzung fossiler Energieträger ist einer der maßgeblichen Treiber für den anthropogen verursachten
Klimawandel. Um diesem zu begegnen sind gewaltige technologische und gesellschaftliche Transformationen erforderlich, verbunden mit einem starken gesellschaftlichen Leitbild, das von unterschiedlichen Akteuren getragen wird. In der Schweiz wurde an der ETH Zürich bereits seit Mitte der 1990er Jahre das Konzept der 2.000-Watt- Gesellschaft entwickelt. Als Zielgröße für eine nachhaltige Gesellschaft ist eine maximale, durchschnittliche Energieleistung von max. 2.000 Watt pro Einwohner definiert. Die 2000 Watt-Gesellschaft und die Dekarbonisierung der Energiesysteme gehören zu den beiden Langfristkonzepten, die maßgeblich zur Lösung der klima- und energiepolitischen Aufgaben vorgeschlagen werden (Spreng & Semadeni 2001, S. 5 f.).

Der jährliche Pro-Kopf-Energieverbrauch der Schweiz lag im Jahr 2000 bei ca. 6000 Watt, einschließlich der netto importierten Grauen Energie. Die Zielgröße von 2000 Watt entsprechen etwa dem Schweizer Pro-Kopf-Energieverbrauch im Jahre 1960 (Spreng & Semadeni 2001, S. 6). Die Zielsetzung einer 2000 Watt-Gesellschaft bedeutet aber nicht, „den Komfort auf die Verhältnisse von 1960 zurückzuschrauben, sondern auf der Basis eines modernen Lebensstils mit innovativen technischen Lösungen, Managementkonzepten und gesellschaftlichen Innovationen die Effizienz des Energieeinsatzes dramatisch zu verbessern und den Energieverbrauch zu senken. Vieles, wie Null-Energie-Häuser, autofreie Zonen, kleinste, verbrauchsarme Fahrzeuge und hocheffiziente, computer-gesteuerte Produktionsanlagen, ist heute schon möglich“ (Spreng & Semadeni 2001, S.6).

Die Stärke dieses Leitbildes ist, dass es eine einfache und objektiv messbare Zielgröße definiert, die sich über alle Bereiche des gesellschaftlichen Stoffwechsels erstreckt (Bauen und Wohnen, Energieversorgung, Mobilität, Ernährung und alle anderen Konsumbereiche). So kann die Entwicklung hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft überprüft und ggf. auch Maßnahmen nachgesteuert werden. Viele Schweizer Gemeinden haben dieses Konzept mittlerweile zum Leitbild ihrer Stadtentwicklung erhoben. Auch viele genossenschaftliche Wohnprojekte in der Schweiz, wie z.B. die Giesserei und Kalkbreite, haben sich dem Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft verschrieben. Dieses wird dort durch eine Kombination von Effizienz- und Suffizienzstrategien umgesetzt mit entsprechenden baulichen, energietechnischen, gestalterischen und nutzungsbezogenen Maßnahmen. So wurden in diesen Projekten z.B. die Gebäude als Passivhäuser gebaut, Mobilitätkonzepte mit einem Minimum an individuell motorisierten Verkehr vereinbart, individuelle Privaträume auf ein Minimum reduziert und kollektive oder gemeinsam genutzte Räume vergrößert. Um die Ergebnisse dieser Maßnahmen zu erfassen, wird der Energieverbrauch im gesamten Projekt pro Person und nicht pro Quadratmeter gemessen. Für die Evaluation dieser sogenannten „2000-Watt-Areale“ wurden eigene Berechnungsmethoden und Rechenhilfen zum Monitoring entwickelt (Lenel 2012, S. 219 f.). In Deutschland und anderen Ländern ist die Anwendung dieses Leitbild noch nicht so weit verbreitet, es würde sich aber insbesondere bei der Planung neuer Quartiere und der Quartierssanierung sehr anbieten (Keßling 2010).

Quellen

Keßling, Britt (2010): Die Schweizer 2000-Watt-Gesellschaft – ein Konzept auch für Deutschland? db Deutsche Bauzeitung 11/2010. https://www.db-bauzeitung.de/db-themen/energie/2000-watt-fuer-deutschland/

Lenel, Severin (2012): 2000-Watt-Gesellschaft in der Schweiz – vom globalen Modell zum einzelnen Gebäude. In: M. Drilling, O. Schnur (Hrsg.), Nachhaltige Quartiersentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-94150-9_11, Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften

Spreng, Daniel;  Semadeni, Marco (2001): Energie, Umwelt und die 2000 Watt Gesellschaft. Grundlage zu einem Beitrag an den Schlussbericht Schwerpunktsprogramm Umwelt (SPPU) des Schweizerischen National Fonds (SNF). CEPE Working Paper Nr. 11

5. Prosumenten

Der Begriff Prosument besteht aus der Kombination der Begriffe Produzent und Konsument. Der Begriff “Prosument” oder Producer-Consumer hat großes Potenzial, wenn man ihn aus einer sozial-ökologischen Perspektive versteht: Er bedeutet einfach, zumindest einen Teil dessen zu produzieren, was man konsumiert. In der gebauten Umwelt wird er meist mit gemeinschaftsbasierten, dezentralen Projekten für erneuerbare Energien oder lokaler Landwirtschaft, wie Urban Farming, in Verbindung gebracht. Wenn solche Projekte demokratisch organisiert sind, können sie dazu beitragen, die Kontrolle über den Verbrauch und die Produktion grundlegender Ressourcen wie Energie und Nahrung wieder in die Hände der Menschen zu legen, die sie nutzen und brauchen. Wer sowohl Produzent als auch Konsument ist, hat eine andere Perspektive auf die Dinge. Prosumption kann zu einer treibenden Kraft für Innovation und Veränderung des Wirtschaftssystems werden.

Bereits Ende der 1980er Jahre leistete der Block 103 (Berlin) Pionierarbeit bei der Demonstration von bewohnerorganisierten und verwalteten Kraft-Wärme-Kopplungs-, Solarenergie- und Wasserrecyclinganlagen.

In Bezug auf die Lebensmittelproduktion haben Spreefeld (Berlin), ufaFabrik (Berlin) und Kalkbreite (Zürich) alle Urban Farming, Lebensmittelwälder, essbare und produktive Landschaften vor Ort. Diese Räume liefern nicht nur Lebensmittel, sondern fördern auch die Interaktion zwischen den Bewohnern und der Nachbarschaft. Zusätzlich haben die ufaFabrik und Block 103 Kinderbauernhöfe. Initiativen, wie die vorgestellten, helfen dabei, den ökologisch zerstörerischen Prozessen der industrialisierten Landwirtschaft etwas entgegenzusetzen, indem sie die kleinbäuerliche und biologische Lebensmittelproduktion fördern und die Distanz von der “Weide zum Teller” verkürzen. Die gemeinschaftsbasierten Projekte können den Zusammenhalt der Gemeinschaft stärken und gleichzeitig die Menschen mit der Natur verbinden. Der Bildungsaspekt ist besonders wichtig, um Kindern, die in urbanen Räumen aufwachsen, das Leben mit Pflanzen und Tieren zu vermitteln. 

Gleichzeitig erfordern selbstorganisierte Infrastrukturen wie Energie-, Wasser- und Nahrungsmittelsysteme jedoch Technologie, die wahrscheinlich teuer ist und das Verhalten der Menschen nicht beeinflussen kann. Technologische Innovationen, ob Low- oder High-Tech, sollten offen und für jeden zugänglich sein.

Quellen

Hellmann, Kai-Uwe (2016) : Auf dem Weg in die “Prosumentengesellschaft”? Über die Stabilisierbarkeit produktiver Konsumentennetzwerke, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, ISSN 1861-1559, Duncker & Humblot, Berlin, Vol. 85, Iss. 2, pp. 49-63, http://dx.doi.org/10.3790/vjh.85.2.49
https://www.econstor.eu/bitstream/10419/171747/1/vjh.85.2.49.pdf

Ritzer, G., & Jurgenson, N. (2010). Produktion, Konsumtion, Prosumtion: Die Natur des Kapitalismus im Zeitalter des digitalen “Prosumenten”. Journal of Consumer Culture, 10(1), 13-36. https://doi.org/10.1177/1469540509354673

Ritzer, G., Dean, P., & Jurgenson, N. (2012). The coming of age of the prosumer. American behavioral scientist, 56(4), 379-398.

6. Synergien

Gemeinschaftsorientierter Wohnungsbau führt im Idealfall zu Nachhaltigkeit und Regeneration sowie Erschwinglichkeit – und erfordert Synergien und integrierte Nutzungen, eine Kombination aus gemeinschaftlicher und technologiegestützter Innovation in einer sozial-ökologischen Synergie.

Virtuose Synergien zwischen sozialer, ökologischer und technologischer Dynamik führen zu einem Effekt, der größer ist als die Summe der einzelnen Elemente, und vor allem zu einer höheren Lebensqualität für die Bewohner, Nutzer und Besucher des Gebäudes. Um dies zu erreichen, wird ein sozial-ökologischer Rahmen vorgeschlagen, der von einer Nutzerorientierung und einer Gemeinschaft von Prosumenten geleitet wird und nicht einfach eine Ansammlung von individualisierten Mietern und Konsumenten ist. Bei CMI.BA und vielen anderen aktuellen Projekten konkurrieren einige Hauptziele um die Aufmerksamkeit: (1) die Steigerung der Energieeffizienz und der Produktion mit erneuerbaren Energien und (2) die Beibehaltung der Erschwinglichkeit bei gleichzeitigem Aufbau einer Gemeinschaft in Bezug auf Gebäudesanierung und Nachhaltigkeit.