Flexible Grundrisse
Flexible Struktur, La Borda © Lluc Miralles

Problem

Bei der Planung von Gebäuden liegt der Fokus häufig zu sehr auf der Realisierung von nutzungsspezifischen Gebäudestrukturen und räumlichen Konstellationen. Aufgrund neuer Nutzungs- oder Wohnkonstellationen sowie sich wandelnder (Wohn)vorstellungen verändern sich im Laufe der Zeit jedoch die Nutzungsbedürfnisse der Menschen. Wie sind Grundrisse und Gebäudestrukturen zu entwerfen, die flexibel nutzbar und so einfach wie möglich für verschiedene Wohn- und Nutzungsmodelle adaptierbar sind, um Flexibilität und zukünftige Anpassungen zu erlauben?

Allgemeine Beschreibung

Die konstruktive Flexibilität von Gebäuden ermöglicht unterschiedliche Aufteilungen einer Wohnung. Diese Adaptivität ist hinsichtlich gesellschaftlicher Veränderungen von Bedeutung (Prytula et al 2020b, S. 8f.).
So kann die flexible und neutrale Raumstruktur einer Wohnung mit gleichwertigen und gut nutzbaren Raumproportionen und -größen für unterschiedliche Nutzungen verwendet werden, ohne grundlegende Änderungen an der Struktur vorzunehmen. Dies macht eine Wohnung oder ein Gebäude für unterschiedliche Nutzergruppen, Nutzungsarten und Wohnkonzepten zugänglich. So kann ein Angebot für zunehmend vielfältige (Wohn)Bedürfnisse geschaffen werden (IBA_Wien 2022 & future.lab 2020, S. 156). Außerdem erlauben es flexible Grundrisse und verschiedene Nutzungen wie beispielsweise Wohnen und Arbeiten auf wenig Fläche zu realisieren.

Entsprechend müssen Anpassungsfähigkeit und Flexibilität bereits in der Planung und Ausführung in Hinblick auf den Lebenszyklus eines Gebäudes berücksichtigt werden. Konzepte für eine flexible Struktur sowie einfache Konstruktionsprinzipien sollten es innerhalb des konstruktiven Systems ermöglichen, einfache bauliche Anpassungen vorzunehmen. Dabei ist die Trennung des Ausbaus von der Primärkonstruktion entscheidend. Eine Skelettkonstruktion oder tragende Außenwände anstelle von tragenden Innenwänden machen größere Eingriffe möglich, um Trennwände, Nutzungseinheiten und Räume flexibel zu gestalten. Hierbei ist auf die Anschlussdetails angrenzender Bauteile im Bereich von Boden, Decke und Fassade zu achten. Aufgrund der Kurzlebigkeit der meisten technischen Bauteile, sollten Leitungen und Installationen von tragenden Bauteilen getrennt und gebündelt werden. Auch die barrierefreie Gestaltung des Gebäudes sollte bereits bei der Planung mitgedacht und sichergestellt werden, da diese Anforderungen nur bei einer geeigneten Gebäudestruktur mit den Mindestmaßen für Flure und Zimmer umgesetzt werden können. Eine langfristige Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit wird durch diese Erschließungsmöglichkeiten für den Großteil der Wohnungen und Räume unterstützt (Drexler & El khouli 2012, S. 68-69).

Beispiele

Die drei Gebäude des Projekts Spreefeld verfügen über flexible Gebäudestrukturen, die in einer Skelettkonstruktion ausgeführt wurden. Dadurch konnte eine neutrale Organisation des Gebäudes für Wohnen und Arbeiten geschaffen werden. Die Gebäudestruktur lässt vielfältige Nutzungen und deren Organisationsmöglichkeiten zu. So wurden 64 unterschiedliche und barrierefreie Wohneinheiten realisiert, die von Kleinstwohnungen mit 25 m2 bis hin zu Wohngemeinschaften in Clusterwohnungen mit 600 m2 Fläche reichen (Köhl o.J.). Ergänzt wurden die drei baugleichen Kerngehäuse durch modulare Adaptionen.

In den Künstlerateliers Erlenmatt Ost in Basel haben die Bewohnenden die Möglichkeit, ihre Wohnung mit einem freien Grundriss ohne raumtrennende Wände selbst auszubauen. Sie können das sanitäre Element frei in der Wohnung positionieren und somit selbst über die Nutzung des Raumes entscheiden (Detterer 2019, S. 81-89).

Erkenntnisse und Synergien

Flexible Gebäudegrundrisse sowie -strukturen ermöglichen langfristige konstruktive Nutzungsflexibilität, indem Gebäudestrukturen mit geringem Aufwand an sich wandelnde gesellschaftliche Strukturen, Nutzungen, Bedürfnisse und Vorstellungen angepasst werden können. So tragen sie zu einer resilienten Quartiersentwicklung bei. Gebäude sind entsprechend als ein dynamisches und veränderbares System zu betrachten, bei deren Planung die technischen und konstruktiven Voraussetzungen für eine sich verändernde  Gebäudenutzung  berücksichtigt werden sollten. Ebenso kann die Adaptivität eines Raumes dazu beitragen, Ausbaumaßnahmen im Selbstbau und folglich die Akzeptanz und Identifikation gegenüber dem Gebäude oder dem Quartier zu stärken.  

Insgesamt ist der Umbau einer flexiblen Gebäudestruktur gegenüber der Errichtung eines Neubaus in Bezug auf den Energie- und Materialaufwand bzw. die graue Energie vorteilhaft. Denn der wesentlich geringere Ressourcenverbrauch, die vermiedene Bodenversiegelung, die geringeren Kosten, die Weiternutzung der meist bereits vorhandenen Infrastrukturen und der soziale und kulturelle Wert eines bestehenden Gebäudes unterstützen eine nachhaltige Entwicklung (Drexler & El Khouli 2012, S. 68).

Sources

Prytula, M., Rexroth S., Lutz, M., May, F. (2020b): Clusterwohnungen. Eine neue Wohnungstypologie für eine anpassungsfähige Stadtentwicklung.  Herausgegeben vom BBSR, Bonn. Accessed on 22.02.2021 from: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/zukunft-bauen-fp/2020/band-22.html

Detterer, G. (2019): Die Kunst des Weglassens. Accessed from: https://www.degelo.net/wAssets/img/projekte/170/publikationen/080-089_Mod_Arch_ErlenmattOst_0519_DS.pdf

Drexler, H. & El khouli, S. (2012): Nachhaltige Wohnkonzepte. München: DETAIL.

IBA_Wien 2022 & future.lab (Ed.) (2020): Neues soziales Wohnen: Positionen zur IBA_Wien 2022. Berlin: Jovis Verlag.

Köhl, F. (o.J.): Spreefeld: Kooperative Entwicklung für bezahlbares Wohnen und gemischte Nutzungen. Accessed on 07.04.2021 from https://fatkoehl.com

Statistisches Bundesamt (2019): Wohnungen bestehen größtenteils aus 4 Räumen. Abgerufen von https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Bauen/wohnung.html