Materialpass
Der in Betonelemente gegossene RFiD-Chip verbindet sich mit einem Materialpass im Circle House © GXN

Problem

Die derzeit vorherrschende lineare Wirtschaftsweise hat zur Folge, dass Baumaterialien nach dem Abriss von Gebäuden zumeist als Abfall enden und nicht weiterverwendet werden. Das belastet nicht nur die Ökosysteme oder erhöht Ressourcenknappheit und Umweltkosten, sondern es  vernichtet auch ökonomische Werte. Wie kann die Wiederverwendung von Materialien und damit die Ressourcenschonung gefördert werden, um langfristig eine zirkuläre Wirtschaft im Bausektor zu erreichen?

Allgemeine Beschreibung

Ein Materialpass ist eine Dokumentation der Bauteil- und Materialhistorie entlang des Produktlebenszyklus. Alle physischen Eigenschaften der Elemente eines Gebäudes, die für die Wartung, den Rückbau und die Wiederverwendung  relevant sind, werden als digitale Informationen abgebildet, die können über eine kollektive Datenbank in ein VDC- oder BIM-Modell integriert werden (Jensen Sommer 2016, S. 121 ff). So entsteht ein digitaler Zwilling des Gebäudes, der den Zugang zu allen relevanten technischen Informationen sicherstellt und Transparenz darüber schafft, welche Materialien im Gebäude verbaut wurden. Mit den erhobenen Daten zu materialwissenschaftlichen und bautechnischen Details können frühzeitig Ökobilanzen (LCA) erstellt und durch deren Verknüpfung mit ökonomischen Daten können Lebenszykluskosten (LCC) optimiert werden. Im Einzelnen umfasst ein Materialpass Informationen über den Lieferanten und Hersteller des Materials, über Eigenschaften und Bedingungen der Materialien wie chemische und technische Spezifikationen, die Umweltauswirkungen während der Produktion und der Lebensdauer. Er umfasst auch eine Beschreibung der Qualitätssicherung und relevante Zertifikate sowie Anweisungen für Montage, Demontage, Wartung, Wiederaufbau und Wiederverwendung und bietet einen eindeutigen Code zur Identifizierung der genauen Position im Bauwerk (Jensen Sommer 2016 S. 121).

Beispiele

Bei dem Projekt CRCLR-Haus in Berlin basiert die Planung des gesamten baukonstruktiven und gebäudetechnischen Konzepts auf einem zirkulären Ansatz (eZeit Ingenieure GmbH, CRCLR GmbH 2018). Dabei wurden unter anderem der vorhandene Materialbestand vor der Umbauphase dokumentiert, jedoch kein umfassender digitaler Materialpass eingesetzt.  

Das Circle House (Lisbjerg) wurde ebenso nach den Prinzipien der Circular Economy gebaut. Es ist so konzipiert, dass es zerlegbar ist und seine strukturellen Komponenten mit geringem Wertverlust wiederverwendet werden können. So wurde beispielsweise ein Chip in die Betonelemente eingebettet, der mit dem digitalen Materialpass und Informationen über die Betonzusammensetzung, die strukturelle Integrität und den Bauplan verbunden ist.

Planung des wiederverwendbaren Bausystems im Circle House © GXN

Erkenntnisse und Synergien

Der digitale Materialpass ist ein Werkzeug zur Steigerung der Ressourceneffizienz und zur Unterstützung der Circular Economy (Winter 2015). Mit seiner Hilfe kann das Materialflussmanagement optimiert und der Wert von Materialien, Produkten und Bauteilen durch deren Wieder- oder Weiterverwendung erhalten werden. Die transparente Darstellung der Produktbestandteile unterstützt bei der Auswahl gesunder und nachhaltiger Baumaterialien und ermöglicht so eine bessere Vermeidung oder Kontrolle von Gefahrenstoffen. Eine konsequente und weitverbreitete Anwendung dieses Instruments ermöglicht den Aufbau von Materialdatenbanken und kann zu einer Schonung von Primärressourcen beitragen. Voraussetzungen für die Umsetzung eines digitalen Materialpasses sind, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden und dass die entsprechenden Techniken zur Verfügung stehen, z.B. durch allgemein und standardisierte elektronisch lesbare Kennzeichnungen wie Barcodes (Götz, Adisorn, Tholen 2021, S. 40).

Quellen

BLOXHUB (2021): Circle House. Abgerufen am 13.12.2021 von https://bloxhub.org/circle-house-lab-circle-house/#

CRCLR GmbH (2018): Towards a Circular Economy!. Abgerufen am 13.01.2021 von https://crclr.org/article/2019-05-22-towards-a-circular-economy

Götz, Thomas; Adisorn, Thomas; Tholen, Lena (2021): Der Digitale Produktpass als Politik-Konzept. Kurzstudie im Rahmen der

Umweltpolitischen Digitalagenda des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU); 20_Wuppertal Report, März 2021. Abgerufen am 08.05.2022 von https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/7694/file/WR20.pdf

GXN (2018): Circle House – Denmark’s first circular housing project. 1st edition. 

Jensen, Kasper Guldager; Sommer, John (Ed.) (2016): Building a Circular Future.  (1 ed.) GXN, Published in 2016 with support from the Danish Environmental Protection Agency. Abgerufen am 13.12.2021 von https://issuu.com/3xnarchitects/docs/buildingacircularfuture/283

TRNSFRM eG (2018): Zirkuläres Bauen. Abgerufen am 13.01.2021 von https://www.trnsfrm.org/zirkulaeres-bauen/ 

Winter, Stefan (2015): Stoffpass Gebäude Entwicklung von Grundlagen für das operative Ressourcenmanagement im Real-estate development und Baukonstruktion. Abschlussbericht eines DBU-geförderten Forschungsprojekts, Förderkennzeichen FKZ/AZ 31077.
Abgerufen am 08.05.2022 von https://www.dbu.de/OPAC/ab/DBU-Abschlussbericht-AZ-31077.pdf