Integrale Planung
Planungsworkshop für CMIBA-Projekt in Spreefeld © Michael Prytula 2021

Problem

Die Anforderungen bei der Realisierung von Bauaufgaben sind zunehmend komplexer geworden (Schwerdtner et al. 2019, S.1). Neben der Bewältigung von funktionalen, konstruktiven und ästhetischen Planungsaufgaben sind in den letzten Jahren auch die technischen und bauphysikalischen Anforderungen an Brandschutz, Schallschutz, Umweltschutz und insbesondere an die Energieplanung stark gestiegen. Bereits zu einem frühen Planungszeitpunkt sind die richtigen Entscheidungen zu treffen, da diese große Auswirkungen auf die räumlichen, funktionalen, technischen, ökonomischen und zeitlichen Aspekte eines Projektes haben. Nachträgliche Änderungen in einer späteren Projektphase, z.B. infolge einer unzureichenden Bedarfsplanung oder nicht frühzeitig erkannter Probleme, sind häufig nicht oder nur unter hohem Arbeits-, Kosten- und Zeitaufwand realisierbar. Durch die starken zeitlichen und logistischen Abhängigkeiten zwischen den Gewerken können sie in Form von Nachbesserungszyklen weitere Kaskaden an Problemen auslösen (Hanko & Prytula 2020, S.50). Insbesondere bei größeren Bauvorhaben führt eine sequentielle Bearbeitung von Planungsaufgaben zumeist zu suboptimalen Ergebnissen, die sich in einer verlängerten Realisierungszeit und Kostensteigerungen niederschlagen. Mit welchen Planungsverfahren lassen sich komplexe planerische, rechtliche und nachhaltigkeitsbezogene Anforderungen erfolgreich bewältigen? Wie lassen sich mögliche Probleme oder Zielkonflikte frühzeitig erkennen und lösen?

Allgemeine Beschreibung

Der Herausforderung komplexer Planungsaufgaben kann durch ein frühzeitiges und kontinuierliches Zusammenwirken aller Projektpartner begegnet werden, was als integrale Planung bezeichnet wird. “Integrale Planung” bedeutet, dass Planungsziele und Verfahren zur Lösung komplexer Planungsaufgaben frühzeitig unter allen relevanten Projektbeteiligten abgestimmt werden, damit die Ziele effizienter und effektiver erreicht werden. Integrale Planung wird zumeist im Zusammenhang mit der Planung und Herstellung energieeffizienter und nachhaltiger Gebäude oder Quartiere verwendet (Löhnert 2002; Voss 2005, S. 153 ff.), beschränkt sich aber nicht auf diese. Vom Schweizer Ingenieur- und Architektenverein (SIA) wurde bereits 1996 der Begriff „Teamorientiertes Planen – TOP“ für vergleichbare Planungsverfahren verwendet (BfK 1996). In den Bewertungssystemen zum Nachhaltigen Bauen (z.B. dgnb, BNB) sind Kriteriensteckbriefe zur Integralen Planung für die Bewertung der Prozessqualität fest verankert. Charakteristisch für die integrale Planung ist ein iteratives Problemlösen innerhalb eines interdisziplinären Teams. Der integrale Planungsprozess ist an und für sich nicht neu: einige Planungsbüros weltweit wenden diese Vorgehensweise bereits seit Jahren erfolgreich an (Löhnert 2002)” (Prytula & Hanko 2019, S.77). In der Praxis wird die integrale Planung aber häufig aus verschiedenen Gründen nicht oder nur unzureichend angewendet. Der höhere Planungs- und Kommunikationsaufwand ist über die Honorarordnungen zumeist nicht abgedeckt und die Bereitschaft der Akteure zur Mitwirkung bei der Erstellung und Bewertung verschiedener Planungsszenarien ist entsprechend gering (ebd.).

Die zielgerichtete Teamarbeit erfordert neben fachlichen Qualifikationen besonders sozial-kommunikative Kompetenzen, um Interdisziplinarität und Kooperation zu fördern. Im Gesamtprozess der Herstellung und Betrieb eines Gebäudes werden hinsichtlich der integralen Planung sechs Prozessphasen bzw. Arbeitsschritte unterschieden (Nordby & Jørgensen 2014, S.9 ff):

  1. Definition der Anforderungen (Erstellung eines Pflichtenhefts)
  2. Team-Building
  3. Iteratives Problemlösen
  4. Kontinuierliche Zielüberprüfung
  5. Gebäudeerrichtung und Inbetriebnahme
  6. Monitoring und Nachsteuerung von Nutzung und Betrieb.

Der integralen Planung liegt in der Regel eine Lebenszyklus-Perspektive zugrunde. Zur Unterstützung der Entscheidungsprozesse sollten geeignete Planungswerkzeuge wie BIM und Methoden zur Simulation und Visualisierung verschiedener Planungsvarianten eingesetzt werden. Dafür werden u.a. Methoden zur Bewertung der Umweltauswirkungen  (Life Cycle Assessment) und Lebenszykluskosten (Life Cycle Costing) eingesetzt.

Beispiele

Im Fall vom Hunziker Areal wurde ein modellhafter Planungs- und Entwicklungsprozess in Form von vielfältigen Dialogen etabliert. Zu Beginn generierte ein Wettbewerb interdisziplinäre Beiträge. In der folgenden Projektentwicklung traten vier ausgewählte Architekturbüros sowie die Gewinner des städtebaulichen Wettbewerbs in eine Dialogphase mit der Baugenossenschaft. Daraufhin wurde das übergreifende, gemeinsame Bauprojekt entwickelt. Im Rahmen einer frühen Planungsphase wurde ein Unternehmen mit der Messung der grauen Energie beauftragt, was eine frühzeitige Optimierung der Konstruktionen nach dem Minergie-Standard ermöglichte. Neben der Dialogphase wurden themenspezifische Konferenzen und Arbeitsgruppen eingerichtet, um den Austausch und die Kommunikation zu fördern (Maier 2013; Hugentobler, Hofer & Simmendinger 2015, S. 152; S.173).

Erkenntnisse und Synergien 

Integrale Planung bedeutet, komplexe Planungsaufgaben durch eine interdisziplinäre und teamorientierte Prozessorganisation zu lösen. Um die gewünschten Projekt- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, spielt die Qualität der integralen Planung eine zentrale Rolle. Die Qualität der integralen Planung wiederum wird maßgeblich von folgenden Parametern beeinflusst:

  1. Erfahrungen aller Akteure mit integraler Planung,
  2. Wertschätzung des Auftraggebers für integrale und nachhaltige Planung,
  3. eine gute Team-Kultur, 
  4. gute Kommunikationskompetenzen,
  5. Erbaulichkeit der Fehlerkultur,
  6. Frühzeitigkeit des Beginns der integralen Planung einschliesslich der Koordinationsaufgaben sowie
  7. Anwendung von geeigneten Werkzeugen für integrale Planung (Prytula & Hanko 2019, S.83).

Diese Parameter stellen Gelingensfaktoren dar, die sich gegenseitig positiv oder negativ beeinflussen.

Quellen

BfK (1996): TOP Teamorientiertes Planen mit dem neuen Leistungsmodell 95 des SIA (LM 95). Bundesamt für Konjunkturfragen. Abgerufen am 20.05.2022 von https://intep.com/wp-content/uploads/2020/05/TOP_Teamorientiertes_Planen_1996.pdf

Maier, Florian (2013): Preisträger: Hunzikerareal in Zürich – mehr als Wohnen. Abgerufen am 20.05.2022 von https://www.detail.de/artikel/deubau-preis-2014-hunzikerareal-in-zuerich-11171/ 

Hanko, J., Prytula, M (2020): Alles im Blick? Integrale Planung und Nachhaltigkeitszertifizierung. In: Gebäudeenergieberater (GEB) 07/2020, S.48-51

Hugentobler, M., Hofer, A. & Simmendinger, P. (2015): Mehr als Wohnen. Berlin, Boston: Birkhäuser.
Abgerufen am 20.05.2022 von https://doi.org/10.1515/9783035604634

Löhnert, Günter (2002): Der Integrale Planungsprozess. Eine Serie in vier Teilen: Grundlagen, Wirkungszusammenhänge, Empfehlungen, Der NAVIGATOR.

Nordby, Anne Sigrid; Jørgensen, Per F. (2014): Integrale Planung – Prozessleitfaden. Market Transformation Towards Nearly Zero Energy Buildings Through Widespread Use of Integrated Energy Design (MaTriD): Asplan. Abgerufen am 20.05.2022 von
https://www.e-sieben.at/publikationen/1210_MaTrID/Prozessleitfaden-Integrale-Planung.pdf?m=1572436146&

Prytula, M.; Hanko, J. (2019): Neubau Wohnhaus für Studierende in Berlin-Grunewald. Endbericht des Forschungsprojekts Vario-Wohnungen gefördert mit Mitteln der Forschungsinititative Zukunft Bau des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Bonn

Schwerdtner, P. et al. (2019): OI + BAU – Optimierung der Initiierung komplexer Bauvorhaben. Autoren: Patrick Schwerdtner, Tanja Kessel, Carsten Roth, Shayan Ashrafzadeh Kian, Michael Bucherer, Darja Möhlmann, Felix Schippmann, Regina Sonntag, Tino Uh. Endbericht des Forschungsprojekts  gefördert mit Mitteln der Forschungsinititative Zukunft Bau des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Bonn. Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart. Abgerufen am 20.08.2021 von ​​https://www.irbnet.de/daten/rswb/19059009973.pdf

Voss, Karsten et al. (2005): Bürogebäude mit Zukunft. Konzepte, Analysen, Erfahrungen. Autoren: Karsten Voss, Günther Löhnert, Sebastian Herkel, Andreas Wagner, Matthias Wambsganß (Hrsg.). Berlin: Solarpraxis GmbH.